Baudirektor provoziert mit Autobahn-Aussage
Artikel aus dem Bieler Tagblatt vom Samstag, 12.2.2022
Gibt es in Biel dereinst doch noch einen Autobahn-Stadtanschluss? Das Komitee «Westast – so nicht» befürchtet, dass die Behörden im Geheimen zumindest an solchen herumstudieren. Und das, nachdem das Projekt A5-Westast genau wegen des grossen Protests gegen ebensolche Anschlüsse gescheitert ist.
Weil auch nach dem Westast an der Schliessung der Bieler Lücke im Nationalstrassennetz festgehalten werden soll, ist die Autobahn am Bielersee nach wie vor stark präsent. Und jetzt schreckt der kantonale Baudirektor Christoph Neuhaus (SVP) die Gegnerinnen und Gegner von Stadtanschlüssen auf: «Der Bund finanziert das Autobahnstück nur, wenn es auch zusätzliche Anschlüsse gibt» , sagte er gestern in der WOZ. Neuhaus beruft sich dabei auf eine Aussage von Jürg Röthlisberger, Direktor des Bundesamts für Strassen (Astra), wie er gegenüber dem BT erklärt. Nichts gewusst von dieser Astra-Ansage hat Biels Stadtpräsident Erich Fehr (SP). Dabei präsidiert er die übergeordnete Behördendelegation, die sich
derzeit mit der Verkehrsplanung im Raum Biel befasst.
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Streit um Autobahn-Anschlüsse: Neuhaus giesst Öl ins Feuer
Die Schliessung der Bieler Lücke im Nationalstrassennetz wäre nur mit zusätzlichen Anschlüssen möglich: Das behauptet der kantonale Baudirektor Christoph Neuhaus. Sehr zum Erstaunen von Biels Stadtpräsident.
Lino Schaeren
Der Westast ist tot, doch die Angst vor einer möglichen Stadtautobahn lebt bei den Gegnerinnen und Gegnern in Biel weiter. Teil des Kompromisses, der im Dialogprozess Ende 2020 gefunden wurde, ist schliesslich nicht nur die Beerdigung des wegen den Anschlüssen im Siedlungsgebiet hoch umstrittenen Autobahnprojekts. Sondern auch das Bekennen zur Schliessung der Bieler Lücke im Nationalstrassennetz. Und so wird derzeit nicht nur an kurz- und mittelfristigen Verkehrsmassnahmen gearbeitet, sondern auch an einer langfristigen Tunnellösung herumstudiert.
Das Komitee «Westast – so nicht» wittert dabei Ungemach: Es warf den Behörden unlängst vor, im stillen Kämmerlein bereits an der nächsten Autobahn mit Stadtanschlüssen zu werkeln. Unsinn, erwiderte Biels Stadtpräsident Erich Fehr (SP) vergangenen November im BT-Interview, Anschlüsse seien absolut kein Thema, «ich bin doch nicht wahnsinnig!» Fehr präsidiert die übergeordnete Behördendelegation, welche die Empfehlungen aus dem Dialogprozess umsetzen soll.
Wirklich zur Ruhe gekommen ist das Thema nach dem klaren Bekenntnis von Fehr nicht. Und jetzt giesst ausgerechnet der kantonale Baudirektor Christoph Neuhaus (SVP) zusätzlich Öl ins Feuer. In der gestern erschienenen Wochenzeitung (WOZ) hat er sich mit folgender Aussage zitieren lassen: «Der Bund finanziert das Autobahnstück nur, wenn es auch zusätzliche Anschlüsse gibt.»
Neuhaus, der als Vertreter des Kantons ebenfalls in der Behördendelegation sitzt, schliesst damit quasi eine Schliessung der Netzlücke ohne Autobahnanschlüsse aufgrund der Finanzierung aus. Und der Kanton, der eine solche Netzschliessung im Auftrag des Bundes als Bauherr umsetzen müsste, hat in diesem Dossier durchaus Gewicht. Die Aussage von Neuhaus ist denn auch Wasser auf die Mühlen der skeptischen Westast-Gegnerinnen und -Gegner: Sie sehen sich in ihren Befürchtungen, dass das Autobahnmonster nach dem Ablebendes Ausführungsprojekts bereits zurück sei, bestätigt.
Bewusst undiplomatisch
Doch wie kommt Neuhaus überhaupt zu dieser Aussage? Und was sagt der Bieler Stadtpräsident, welcher der Behördendelegation vorsteht, dazu? Nachfrage beim kantonalen Baudirektor. Er habe sich bei seinem WOZ-Statement auf eine Aussage von Chefs des Bundesamts für Strassen (Astra) bezogen, sagt Neuhaus. Das ist Direktor Jürg Röthlisberger. Der Astra-Chef, so Neuhaus, habe ihm erklärt, dass es nicht möglich sei, einen Tunnel von Pieterlen bis Neuenstadt durch den Jura zu bauen ohne Auffahrtmöglichkeiten: Da würde die gewünschte Verkehrswirkung ausbleiben.
Ohne Anschlüsse geht es also nicht, schlussfolgert Neuhaus. Doch wieso prescht der SVP-Bauvorsteher in diesem in der Region Biel derart heiklen Dossier zum jetzigen Zeitpunkt vor? Buhlt er im Regierungsrats-Wahlkampf um Aufmerksamkeit? Neuhaus verneint. Es gehe ihm um Ehrlichkeit, sagt er. Wir wollen nicht mehr sechs Jahre im Hinterzimmer denken und planen, um dann alle vor den Kopf zu stossen.
Dass er mit seiner Aussage in Biel provoziert, ist Neuhaus durchaus bewusst. Ich bin nicht dafür bekannt, immer diplomatisch zu sein, sagt er dazu. Zurückhaltend und ausweichend gibt man sich dagegen beim Astra. Mit der angeblichen Aussage von Direktor Jürg Röthlisberger konfrontiert, geht die Medienstelle des Bundesamtes gar nicht erst auf die konkreten Fragen ein. Sie lässt einzig in einer schriftlichen Stellungnahme verlauten: Das Thema Westast liegt jetzt allein in den Händen der Stadt Biel und des Kantons Bern. Es liegt an ihnen, eine Lösung zu finden. Das Astra wartet auf einen konkreten Vorschlag.
Ob Röthlisberger die Aussage gegenüber Neuhaus so gemacht hat? Ob das Astra tatsächlich davon ausgeht, dass die gewünschte Wirkung mit einer Nationalstrasse in Biel nur mit Anschlüssen erreicht werden könnte? Das bleibt vorerst unbeantwortet.
Ein Brunnenvergifter?
Das BT hat gestern Nachmittag auch Biels Stadtpräsident mit der öffentlichen Aussage von Neuhaus konfrontiert. Erich Fehr zeigt sich erstaunt, dass solche angeblichen Gespräche zwischen Astra und Kanton, die Biel betreffen, auf diesem Weg in die Öffentlichkeit finden. Das hätte zuerst in die Behördendelegation gehört. Fehr, der derzeit ebenfalls für einen Sitz im Berner Regierungsrat kandidiert, gibt an, von den Äusserungen des Astra-Direktors bis dato nichts gewusst zu haben.
Die Diskussion findet der SP-Mann zum jetzigen Zeitpunkt absurd: Wir haben noch keine Vorstudien, wir kennen keine Verkehrszahlen, wir stehen ganz am Anfang. Er halte die Aussage daher für unreflektiert und inhaltlich falsch: Ich sehe den Zusammenhang nicht zwischen den Anschlüssen und der Finanzierung durch den Bund. Wie man im jetzigen
Stadium der Arbeiten behaupten kann, dass eine Nationalstrasse im Raum Biel nur mit Anschlüssen eine Wirkung erzielen kann, ist mir schleierhaft, sagt Fehr. Zum Vorpreschen von Neuhaus findet er klare Worte in Richtung Bern: Der mit dem Abschluss des Dialogprozesses eingeschlagene Weg sein anspruchsvoll genug, da bringt es nichts, mit solchen Aussagen den Brunnenvergifter zu spielen. Zwischen Stadt und Kanton besteht also offenbar Klärungsbedarf. Und Erich Fehr wird sich in der nächsten Besprechung mit der
sogenannten Reflexionsgruppe, der unter anderem das Komitee «Westast – so nicht» angehört,einmal mehr im Namen der Behörden rechtfertigen müssen. Doch das wird erst im April passieren: Sie tritt am 6. April zum nächsten Mal zusammen. Dann, nach den kantonalen Wahlen vom 27. März, wird auch klar sein, ob Christoph Neuhaus seinen Sitz im Regierungsrat behält. Und ob Erich Fehr die Überraschung gelingt und er ebenfalls in die Kantonsregierung einzieht.