Ein neuer Fachbericht kommt zum Schluss, dass Autobahntunnel den Verkehr in Biel und der Region kaum beruhigen. Anders als vermutet, ist der Durchgangsverkehr nicht das Hauptproblem.
Artikel aus ajour.ch von Rachel Hämmerli – 24.2.2025
Seite an Seite protestierten Tausende Menschen in Biel gegen die Bieler Westast-Autobahn. Mit Erfolg: Fünf Jahre sind vergangen, seit es einer breiten Bürgerbewegung gelungen ist, das Grossprojekt zu bodigen. Doch nach dem Westast-Aus hat das Hirnen erst richtig angefangen.
Damit blieb das Verkehrsproblem von Biel noch immer ungelöst. Der Westast hätte den Verkehr aus überlasteten Bieler Quartieren lenken sollen – in der Bieler Innenstadt kommt es zu Stosszeiten regelmässig zu Blechlawinen.
Zudem hätte er die Lücke im Autobahnnetz A5 schliessen sollen. Zwischen Neuenburg und Solothurn fehlt in Biel ein Stück Autobahn. Ein Bundesgesetz verlangt aber ein lückenloses Autobahnnetz.
Westast-Befürworter, darunter Wirtschaftsverbände und der Touring Club Schweiz (TCS), fordern nach wie vor eine Autobahnumfahrung, um Biel und die Nachbargemeinden von Autos und Lieferwagen zu entlasten. Der Tenor: Würde man ganz darauf verzichten, würde dies die Region schwächen und den Verkehr weiter belasten. Eine unabhängige Studie kommt nun zu einem ganz anderen Schluss.
Verkehr sei vor allem hausgemacht
Seit Montag liegt die Gesamtmobilitätsstudie im Auftrag von Espace Biel/Bienne.Nidau (EBBN) vor. Der Fachbericht ging der Frage nach, ob die Netzlücke überhaupt geschlossen werden muss. Eine zentrale Fragestellung lautete: Wird der Verkehr wirklich wirksam minimiert mit Autobahnumfahrungen, wie sie in Form von zwei Tunnellösungen vorliegen? Die Antwort kommt überraschend und lautet – Nein.
—– Die Gesamtmobilitätsstudie Biel-West als PDF | 118 Seiten – 11.3 MB ——
—– Medienmitteilung von EBBN zum Download als PDF —–

Am meisten Verkehr würden die Fahrten innerhalb Biels und der Nachbargemeinden verursachen – der Binnenverkehr. Also Autos, die beispielsweise von Ipsach oder Evilard nach Biel fahren oder umgekehrt. Der Binnenverkehr mache laut Studie mehr als die Hälfte des gesamten Verkehrs aus, der bis 2040 herrschen werde. Er umfasst alle Fahrten innerhalb von Biel, Nidau, Ipsach, Port, Brügg und Evilard.
Ein Autobahntunnel würde vor allem den Durchgangsverkehr minimieren. Anders als bislang vermutet, macht dieser jedoch nur neun Prozent vom Gesamtverkehr in Biel und den Nachbargemeinden aus, kommt die Studie zum Schluss. Zum Durchgangsverkehr zählen Fahrten, die beispielsweise von Solothurn via Biel nach Neuenburg verlaufen. Also Autos, die die Strassen von Biel und den Nachbargemeinden nutzen, um zum Ziel zu kommen. Die Überraschung des Fachberichts: Der Verkehr in Biel und den Nachbargemeinden ist vor allem hausgemacht.
Der zweite grosse Treiber ist der Quell- und Zielverkehr. Der Quellverkehr beinhaltet Fahrten, die etwa von Biel oder Evilard herkommend in abgelegene Gebiete führen – zum Beispiel nach Solothurn oder Bern. Der Zielverkehr umfasst Autos, die etwa Biel oder Ipsach zum Ziel haben und von Solothurn oder Bern kommen. Zusammengezählt machen Ziel- und Quellverkehr 35 Prozent des Gesamtverkehrs von 2040 aus, so die Studie.
Weil der Anteil des Durchgangsverkehrs so klein ist, würden Autobahnumfahrungen in Form von Tunnel den Verkehr nur lokal und auch nur minim entlasten, schreiben die Studienleiter in ihrem Fazit. Der Gesamtverkehr würde dabei kaum weniger.
Die beiden Büros nahmen zwei bestehende Tunnelprojekte unter die Lupe, die die Lücke im Autobahnnetz schliessen sollen: der Juratunnel und die Tunnellösung namens «Westast so besser». Die Studienleiter untersuchten zudem die Lösung Porttunnel, der das Nidauer Stedtli und die Hauptstrasse von Port entlasten sollte, jedoch nicht die Netzlücke geschlossen hätte.
Ein Juratunnel würde den Verkehr beispielsweise im Bieler Bözingenfeld oder bei der Seevorstadt entlasten, jedoch nicht im gewünschten Ausmass. Die Studienleiter rechnen, dass geschätzt zwischen 9’000 und 14’000 Fahrten von der Innenstadt in den Juratunnel verlagert würden, wegen des übrigen Verkehrs würden jedoch immer noch geschätzt mindestens 35’000 Fahrten auf dem Streckenabschnitt verkehren.
Im Verhältnis zum Nutzen seien die Kosten für einen Tunnelbau und die negativen Folgen für die Umwelt zu hoch, so die Schlussfolgerung der Studienleiter. Im Tunnelprojekt «Westast so besser» kam der Fachbericht zum gleichen Fazit.
Doch die Lücke im Autobahnnetz kann nur mit einem Tunnel geschlossen werden und das Bundesgesetz verpflichtet dazu, die Lücke zu schliessen. «Es ist nun Sache der Politik, zu entscheiden, wie wichtig ein lückenloses Autobahnnetz ist», sagt Hansjörg Ryser, Mediensprecher von EBBN.
Die Studie wurde von den zwei Planungsbüros Transitec und Interface erstellt. «Wir sind nach wissenschaftlichen Kriterien vorgegangen», betont Studienleiter Christian Hänggi von Transitec. Die Schlussfolgerungen würden keine politische Gewichtung enthalten.
Dort sieht der Fachbericht Handlungsbedarf
Die Studienleiter schätzen die Verkehrsbelastung auf den Hauptachsen in Biel und den Nachbargemeinden als «nicht tief, aber auch nicht sehr hoch» ein. Ausnahmen sind zum Beispiel die Bernstrasse und der Guido-Müller-Platz in Biel, auf denen die Belastung zu hoch sei. Wie löst man diese Probleme am besten?
Für die Studienleiter ist klar: Alternativen ergeben mehr Sinn. Dafür sehen sie einen Strauss an Massnahmen vor.
Ein Kernproblem sehen die Studienleiter darin, dass eine Mehrheit der Fahrten mit dem Auto gemacht wird, anstatt mit dem öffentlichen Verkehr oder per Velo. Gut die Hälfte des gesamten Binnenverkehrs wird bis 2040 aus Autofahrten bestehen, zeigt die Studie. Im Ziel- und Quellverkehr sind die Zahlen um einiges höher. Dort werden 72 Prozent aller Fahrten mit dem Auto bestritten werden.
Ohne Massnahmen würde der Autoverkehr in Zukunft weiter zunehmen und damit den Zielen der Politik entgegenlaufen. Es lägen viele Konzepte vor, um alternative Verkehrsmittel zu stärken, schreiben die Studienleiter. Doch diese seien ungenügend umgesetzt.
Die Städte Biel, Nidau und Ipsach definierten in ihren Konzepten und Strategien, dass der Anteil der Autofahrten am Gesamtverkehr nicht zunehmen dürfe – Nidau schreibt sogar eine Reduktion vor. Der Kanton Bern geht mit seiner Gesamtmobilitätsstrategie in eine ähnliche Richtung, genauso wie der Bund mit seinem Agglomerationsprogramm.
Zu den Zielen gehört aber auch, eine gute Erreichbarkeit für den Wirtschaftsverkehr sicherzustellen. Also beispielsweise für den Lastwagenverkehr oder aber für Maler, die mit dem Arbeitsauto zu einer Baustelle fahren müssen. Die Studie sieht für den Wirtschaftsverkehr keine sinnvollen Alternativen zum Auto. Antworten darauf, wie hoch der Anteil des Wirtschaftsverkehrs im gesamten Verkehr ist, liefert sie nicht.
Bessere Velowege und barrierefreie Trottoirs
Dafür aber mehrere Massnahmen, um mehr Menschen auf das Velo, den öffentlichen Verkehr oder aufs Trottoir zu manövrieren. Die Studienleiter haben Stossrichtungen ausgearbeitet, die man wie Bausteine miteinander kombinieren kann. Dazu gehören beispielsweise der Ausbau von Velowegen und Busverbindungen oder die Streichung von Parkplätzen, um das Autofahren weniger attraktiv zu gestalten.
Ein besonderes Augenmerk legt die Studie auf die Wege für Fussgängerinnen und Fussgänger. Diese seien in der Region noch ungenügend ausgebaut und müssten durchgängig barrierefrei und sicherer werden.
Auch der öffentliche Verkehr sei ein wichtiges Puzzleteil. Neue Direktverbindungen von Biel in die Nachbargemeinden würden den öffentlichen Verkehr attraktiver gestalten. Auch die bessere Erschliessung vom Bieler Bözingenfeld und dem Brüggmoos mit häufigeren Bustakten und kürzeren Fahrzeiten fasst die Studie ins Auge. Das Bieler Konzept öffentlicher Verkehr 2035 Agglomeration Biel sei dafür eine gute Grundlage.
Der Fachbericht erweckt den Eindruck, dass das ursprüngliche Westast-Projekt nicht die gewünschte Verkehrsberuhigung erzielt hätte. Diese Schlussfolgerung lasse der Bericht jedoch nicht zu, sagen die Studienleiter. Anders als im Westast-Projekt sehen die Tunnellösungen keine innerstädtischen Anschlüsse vor, etwa ein Autobahnanschluss bei der Seevorstadt oder einen Anschluss Bienne-Centre. Diese Anschlüsse hätten zusätzlich den Verkehr in der Innenstadt entlastet.
Nun ist die Bevölkerung gefragt. Die Gesamtmobilitätsstudie liegt bis zum 25. April öffentlich auf. Alle Personen, Gemeinden und Organisationen haben bis dahin die Gelegenheit, sich dazu zu äussern.