Ein Whistleblower half den Gegnern, «das Monster» zu erlegen

Das gescheiterte Projekt A5-Westast interessiert schweizweit: In einem siebenseitigen Bericht im
Magazin des «Tagesanzeigers»
lässt ein Vorstandsmitglied der Gegner die Leser am Coup teilhaben.

Ein Briefumschlag ohne Absender – darin ein USB-Stick mit 1,6 Gigabyte, über dreitausend Seiten
lang. Es sind sämtliche Unterlagen zum Bieler Autobahnteilstück A5-Westast, die anonym im Postfach liegen.

Profile und Pläne im Massstab 1:1000, Verkehrskonzepte, Umweltverträglichkeitsberichte und eine Dokumentation zu den geplanten Enteignungen. Das Komitee «Westast – so nicht!» erhält den Stick im März 2017 und bekommt dadurch einen kleinen Vorsprung im Sprint gegen die amtlichen Fristen. Denn die Post eines Whistleblowers erreicht die Vertreter der Bieler Bürgerbewegung sechs Wochen vor der offiziellen Auflage- und Einsprachefrist des Ausführungsprojekts am Dienstag nach Ostern 2017.

Das sagt Catherine Duttweiler, Vorstandsmitglied und Kommunikationsverantwortliche des Komitees in einem aktuellen Artikel im «Tagimagi». Unter dem Titel«Wie wir das Monster erlegten» hat die Bielerin einen siebenseitigen Bericht verfasst, in dem sie detailliert beschreibt, wie es den Autobahngegnern gelang, den bereits beschlossenen Bau der Bieler Stadtautobahn zu verhindern. Eine Geschichte mit Vorbildcharakter, die schweizweit interessiert.

Ein Teil des Erfolges war also die illegale Handlung eines Whistleblowers. Da stellt sich die Frage: Wer war der Absender? Die Antwort darauf werde nicht einmal unter den Westastgegnern laut ausgesprochen. «Einige von
uns ahnen es, doch wir reden nicht darüber. Dieses Geheimnis bleibt für immer unter der Erde.»

Genau wie die Autobahn, wie Duttweiler am Ende schreibt.

«Er löste einen Schock aus»

Es gibt darin noch weitere Einblicke hinter die Kulisse. Um den teuersten Strassenabschnitt der
Schweiz zu bodigen – 2,2 Milliarden Franken hätten die 7,2 Kilometer mit zwei Anschlüssen gekostet
– waren laut Duttweiler «ein Rezept mit zehn Zutaten» nötig. Eine sei eine realitätsnahe Visualisierung eines
Projekts. Weil nur informierte Bürgerinnen ihre Rechte wahrnehmen könnten. Erst 2007 habe der VCS die ersten bildlichen Darstellungen der Autobahnanschlüsse angefertigt. «Er löste damit einen Schock aus», erinnert
sich Duttweiler. So hätten einige Bieler aus der Zeitung erfahren, dass ihr Einfamilienhaus der Autobahn weichen soll.

Sie beschreibt weiter, wie das gigantische Projekt zu Beginn für Laien gar nicht fassbar gewesen sei, und wie die Redaktion und sie, damals noch Chefredaktorin des «Bieler Tagblatt» nicht stark genug insistiert habe, als es um
die Anschlüsse auf Stadtgebiet ging. Man habe den Behörden geglaubt, als sie sagten, die Anschlüsse würden
«weitestgehend gedeckt» – auch als es hiess, wegen des Tunnelbrands am Gotthard müssten aus Sicherheitsbegründungen die Normen verschärft und die Anschlüsse offen geführt werden.

Erst im Herbst 2020 erfährt die Westastgegnerin von Astra-Direktor Jürg Röthlisberger, dass auch nach den Tunnelbränden weiterhin unterirdische Anschlüsse und Zufahrtsrampen gebaut würden. Duttweiler kritisiert auch offen die Arbeit des damaligen Stadtpräsidenten Hans Stöckli (SP), der bereits 2009 mit der nach ihm benannten Arbeitsgruppe den Auftrag hatte, eine Lösung auszuhandeln, die in der Region breit abgestützt ist. Unter anderem hätten aber ehrenamtlich tätige autobahnkritische Mitglieder zu spät erkannt, dass ihre Anliegen zwar protokolliert, aber nicht alle weiterverfolgt würden. Auch die Medien hätten trotz Recherche sehr wenig erfahren, da die Gruppe mit zuletzt 100 Mitgliedern einen Maulkorb bekommen habe.

«Viele Alphatiere am Tisch»

Zur Arbeit der westastkritischen Organisationen der Dialoggruppe heisst es, dass manchmal die Fetzen geflogen seien, «es sitzen viele Alphatiere am Tisch». Doch das wiederum habe den Vorteil gebracht, dass man jedes Traktandum durchdiskutiere, bevor die fünf Kerngruppenmitglieder in die Verhandlung mit der Gegengruppe gehen.

Zusammenfassend heisst es: «Für den historischen Erfolg», wie es ihn im Schweizer Nationalstrassenbau noch nie gegeben habe, habe es unter anderem eine breite Bewegung mit klaren Spielregeln gebraucht,mit gescheiten Köpfen und einem ständigen Austausch nach allen Seiten. Es seien Stadtwanderungen nötig gewesen und ein Alternativprojekt, Transparenz, Geduld, hartnäckige Recherche, aber auch Kompromissbereitschaft, um die Blockaden zu lösen.


Duttweiler erzählt die Geschichte der Bürgerbewegung nicht ohne Stolz: Auch wenn nicht alles nach Lehrbuch abgelaufen sei, habe der Dialog zwischen Westastgegnern und -befürwortern Vorbildcharakter. «Bisher plante und baute der Bund Autobahnen ohne Mitwirkung der Bevölkerung. In Biel wurde das gerade für städtische Zentren nicht mehr zeitgemässe Vorgehen gekehrt. Der Bund zog sich während des Dialogs zurück. Erstmals ging man von den Bedürfnissen der Bevölkerung aus statt von jenen der Autofahrer, die möglichst schnell ins Zentrum wollen.»

Lesen Sie hier den ganzen Artikel aus dem Bieler Tagblatt – PDF