Bund plante zuerst im Alleingang

Das Bundesamt für Strassen will am linken Bielerseeufer die Strasse erweitern. Die Behörde verspricht mehr Sicherheit für Velofahrende – doch Kritiker monieren, dass am Volk vorbei geplant wird.

Hat es die Stadt Biel verschlafen, sich mit dem Bund gemeinsam an einen Tisch zu setzen, um eine wichtige Strassenerweiterung zu planen? So jedenfalls lauten die Vorwürfe vonseiten «Westast – so nicht». Denn das Bundesamt für Strassen (Astra) soll die Bundesstrasse durch Vingelz deutlich verbreitern wollen. Und diese Pläne scheinen so gar nicht mit den erarbeiteten Kompromissen aus dem Westast-Dialogprozess übereinzustimmen.

Die Bieler Baudirektion Lena Frank (Grüne) sagt dazu: «Tatsächlich hat das Astra zuerst nur die Strassensanierung vorgesehen. Deshalb war keine Zusammenarbeit mit der Stadt Biel geplant.» Das Astra sei aber nach Diskussionen mit der Stadt zur Überzeugung gelangt, dass anstelle einer reinen Instandstellung die Situation an der Neuenburgstrasse für alle beteiligten Verkehrsteilnehmer verbessert werden soll. «Die Stadt ist also jetzt in die Projektorganisation integriert», sagt Frank. Es könne schliesslich nicht im Interesse des Astra liegen, ein Projekt zu verfassen, das anschliessend nicht bewilligungsfähig sei. Dennoch äusserst sich der Zürcher Städteplaner Han van de Wetering kritisch zum Vorgehen des Bundes.

Was plant das Bundesamt für Verkehr (Astra) zwischen Strandboden und Schlössli in Biel? Zuerst einmal laufen derzeit zwischen Biel und Twann Strassensanierungsarbeiten (das BT berichtete). Doch Ende des letzten Jahres ist Vertretern von Seegemeinden am linken Bielerseeufer und Verkehrsverbänden vom Astra zudem eine Idee für eine Umgestaltung des erwähnten Abschnitts auf der Neuenburgstrasse präsentiert worden.

Mit dabei war Hanspeter Schlegel von der Geschäftsleitung bei Pro Velo Biel, der wie die anderen einen Projektplan einsehen konnte: «Uns wurde gezeigt, wie sich das Astra einen Ausbau der Neuenburgstrasse vorstellen könnte», sagt er. Die Skizze zeigte eine deutlich breitere Strasse mit einem in der Mitte verlaufenden Mehrzweckstreifen, Velospuren und eine Promenade für Fussgänger (siehe Zweittext).

Es sei den Anwesenden gesagt worden, dass es nach der Auflösung der Westast-Blockade nun möglich sei, die Strasse umzugestalten. Schlegel sagt: «Wir begrüssen, dass etwas für den Langsamverkehr getan werden soll. Die Situation ist auf dieser Strasse für Velofahrende viel zu gefährlich.» Gleichzeitig gefällt es Schlegel nicht, dass der Strassenverkehr nicht eingeschränkt werden soll. «Da fragt man sich schon: Ist das sinnvoll? Das verbessert die Situation für schwache Verkehrsteilnehmer nicht.»

Tatsächlich soll das Astra die breitere Strasse für 20 000 Autos pro Tag planen, ein Viertel mehr, als es heute sind. Das bestätigte der Projektleiter Urs Herren gegenüber dem Internetportal «Infosperber». Es berichtete über die Pläne der Strassenbauer, unter dem Titel «Fehlplanung und Klimawandel? Das Astra hat nichts gelernt». Verfasst hat den Bericht Catherine Duttweiler, ihres Zeichens Vorstandsmitglied des Vereins «Westast so nicht». Das Komitee wirft den Behörden seit Monaten vor, hinter verschlossenen Türen an neuen Strassenprojek ten im Raum Biel zu arbeiten. Die Vorwürfe des «Komitees Westast – so nicht» gegenüber Stadt und Astra laute gemäss Artikel dann: Der Bund plane beim Strandboden das nächste Betonmonster – ohne den Einbezug der Fachleute aus dem Dialogprozess, die seit Sommer Konzepte für dieselbe Strecke erarbeiten.

Stimmt das? Geht das Astra in alter Manier vor, ähnlich wie beim Autobahnprojekt Westast, ohne die Bevölkerung einzubeziehen? Und ohne die Empfehlungen aus dem Dialogprozess zu beachten? Dies könnte am Ende ähnlich wie bei der Autobahn wieder zu zahlreichen Einsprachen führen, Zeitverzögerungen und Kosten generieren, die am Ende der Steuerzahler bezahlt. So jedenfalls steht es im «Infosperber»-Artikel.

Astra zeigte kein Interesse

Städtebauspezialist Han van de Wetering hatte im Dialogprozess Westast gemeinsam mit anderen Fachpersonen eine Schlüsselrolle inne. Aktuell begleitet er im Auftrag der Nachfolgeorganisation «Espace Biel/Bienne Nidau» (EBBN) die weiteren Planungen im früheren Westast-Perimeter. Er sagt: «Bisher hat das Astra für eine Zusammenarbeit beim gesamtheitlichen Vorgehen der EBBN für die Achse Neuenburgstrasse bis Brüggmoos kein Inte resse gezeigt, was ich persönlich bedaure.» Grundsätzlich verstehe er zwar, dass das Astra eigene Terminpläne und Vorgehen habe, «aber diese Westast-Geschichte ist für die Region so prägend, das soll man auch beim Astra ernst nehmen». Denn die Geschichte habe doch gezeigt: Vor allem in Siedlungsgebieten sei es wichtig geworden, Bürgerinnen und Bürger in ein Strassenbauprojekt einzubeziehen. Bei Projekten für Hauptverkehrsachsen innerorts seien immer Leute direkt betroffen. «Für sie ist die Strasse eine Adresse, ein Lebensort, eine lokale Erschliessung», sagt der Städteplaner. Hier müsse beim Astra ein Umdenken stattfinden.


«Schwerer Stand»
Plant man hingegen ohne die Bevölkerung und die lokalen Interessen, wird eine Strasse laut van de Wetering schnell zum Fremdkörper. Dies kann zu schwierigen Situationen führen, zum Beispiel zu Quartierteilen, die nicht mehr erschlossen werden können, Geschäften, bei denen man nicht mehr zufahren kann, Lärmprobleme und fehlende Querungen.

Sein Fazit: «Irgendwo weit weg vom Siedlungsgebiet dürfte das Astra von mir aus im Alleingang planen, aber innerorts ist eine Zusammenarbeit unerlässlich.» Beim Westast seien die wesentlichen Verkehrsinfrastrukturen ohne aktive Mitwirkung der Gemeinden und ohne Berücksichtigung des Kontexts festgelegt worden. «Es gab dann irgendwanwann eine städtebauliche Begleitplanung, aber da waren die wichtigsten Rahmenbedingungen – zum Beispiel Autobahnanschluss in Stadtmitte – schon gesetzt.

Diese fehlende aktive Zusammenarbeit ist der Hauptgrund, dass das Projekt gescheitert ist. Darum wäre eine aktive Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Kanton und Astra nun wünschenswert.» Auch in viele andere Schweizer Städte haben laut van de Wetering Strassenprojekte des Astras momentan einen «sehr schweren Stand. Sowohl für das Astra selber als auch für die betroffenen Gemeinden sind das unmögliche Situationen», sagt er.

Zuerst war Alleingang geplant

Hat es die Stadt tatsächlich verschlafen, sich mit dem Bund gemeinsam an einen Tisch zu setzen? Stadtpräsident Erich Fehr (SP) verweist für Anfragen diesbezüglich an die Bieler Baudirektion Lena Frank (Grüne): Sie sagt, tatsächlich habe das Astra zuerst nur die Sanierung vorgesehen gehabt. «Deshalb war keine Zusammenarbeit mit Biel vorgesehen.»

Das Astra sei aber nach Diskussionen mit der Stadt zur Überzeugung gelangt, dass anstelle einer reinen Instandstellung die Situation für alle beteiligten Verkehrsteilnehmer verbessert werden soll. «Die Stadt ist also jetzt in die Projektorganisation integriert», sagt Frank. Und: Es könne schliesslich nicht im Interesse des Astras liegen, ein Projekt zu verfassen, das anschliessend nicht bewilligungsfähig sei. «Das Projekt wird zu gegebener Zeit auch im Rahmen von Espace Biel/Bienne Nidau präsentiert und diskutiert. Die integrierten politischen Behörden können zu einem früheren Zeitpunkt vom Projekt Kenntnis nehmen und ihre Überlegungen einbringen», sagt die Gemeinderätin.


Verschiedene Varianten
Und was heisst es beim Astra selbst? Hier klingt es gleich: Die Unterhaltsarbeiten für den Teilabschnitt Schlössli-Strandboden auf Territorium der Stadt Biel (eine Bundesstrasse) seien vorerst zurückgestellt worden, weil für diesen Bereich 2021 ein neues Ausführungsprojekt gestartet wurde. Dies, nachdem die Stadt beantragt hatte, den Strassenraum zwecks einer Besserstellung des Langsamverkehrs umzugestalten. «Hierzu wurden in der Zwischenzeit verschiedene Varianten ausgearbeitet, die nun zu bewerten sind», schreibt Olivier Floc’hic. Dies geschehe unter Einbezug der Astra-Projektpartner: dem Tiefbauamt des Kantons Bern sowie der Abteilungen Infrastruktur und Stadtplanung der Stadt Biel. «Sobald Kanton und Stadt den Zeitpunkt für gegeben erachten, soll die Projektorganisation Espace Biel/Bienne Nidau in den Prozess involviert werden. Stand heute, plane man eine öffentliche Auflage des Projektes «N5 Umgestaltung Schlössli-Strandboden» im Laufe des nächsten Jahres.


Wird am Volk vorbeigeplant?

Plant der Bund die Neuenburgstrasse, die durch das Seequartier Vingelz führt, zu verbreitern? Und versucht er, das im Alleingang vorzubereiten? Glaubt man kritischen Stimmen, plant das Strassenamt für Verkehr (Astra) zwischen Vingelz und Twann eine zusätzliche Fahrspur für den Schwerverkehr, dies geht aus einer Planungsskizze hervor. Diese soll das Überholen von abbiegenden Autos erleichtern. Die Strasse würde teils bis zu 21 Meter breit, für Velofahrerinnen ist lediglich eine Fahrspur von 1,5 Meter Breite eingerechnet – gerade die Minimalbreite, die das Gesetz vorschreibt. Das Projekt soll Astra-intern «Nationalstrasse für die Übergangszeit»  heissen. Kritisiert wird das Vorgehen von Städtebauexperten, die in den Westastdialogprozess involviert waren. Weil am Volk vorbeigeplant worden war, sei das Autobahnmonster am Ende gebodigt worden. In einem zwei Jahre dauernden Dialogprozess wurde bis Ende 2020 ein Kompromiss beschlossen und festgehalten, dass für den ÖV, für Velofahrer und Fussgänger mehr getan werden müsse. So auch im Bereich Brüggmoos bis Rusel. Passiert nun nochmals das Gleiche? Bisher sei das Astra nicht an einer Zusammenarbeit mit Espace Biel/Bienne Nidau interessiert. Jener Organisation, die sich um die Gestaltung des Perimeters zwischen Brüggmoos und Seevorstadt kümmert.


Text aus Bieler Tagblatt vom 14.3.2022

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