Befürworter wie Gegner sind sich einig: Das offizielle Ausführungsprojekt für den Bieler Westast ist mit dem Abschluss des Dialogprozesses vom Tisch. Damit hat sich die Bevölkerung erfolgreich gegen die geplante Autobahn mit den zwei Anschlüssen im Stadtzentrum gewehrt und mit ihrem konstruktiven und kreativen Protest schweizweit ein Signal gesetzt.
Es war ein langer, zuweilen steiniger Weg. Umso mehr freuen sich die 13 unterzeichnenden westastkritischen Organisationen, dass der Dialogprozess zum Bieler Westast mit einem breit abgestützten Lösungsvorschlag abgeschlossen werden konnte. Dabei haben alle Parteien ihren Teil dazu beigetragen: Grosse Teile der Westastopposition haben anerkannt, dass die Lücke im Nationalstrassennetz geschlossen werden soll – während Befürworter und Gemeinden das offizielle Projekt aufgegeben haben. Heute Abend wird das Schluss-dokument mit zahlreichen Empfehlungen für eine zukunftsgerichtete Stadtentwicklung dem Kanton Bern sowie der Behördendelegation übergeben.
Weg frei für übergreifende städtebauliche Planung
Möglich wurde der Kompromiss durch ein Zukunftsbild, das im Dialogprozess gemeinsam mit einem ganzheitlichen Ansatz erarbeitet wurde. Es stellt die Aufenthalts- und Lebensqualität der Stadt ins Zentrum – anstelle der stark verkehrszentrierten Sichtweise der früheren Jahre. Darauf aufbauend soll eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung mit attraktiven, durchgehenden Naherholungsgebieten und einer Priorisierung des Fuss- und Veloverkehrs sowie des ÖV angestossen werden. Insbesondere im Gebiet zwischen Bahnhof und See kommen der Rückzug des offiziellen Projekts und die Aufhebung des Enteignungsbanns einem Befreiungsschlag für die Stadt gleich: die jahrzehntelange Blockade ist gelöst und eröffnet neue städtebauliche Chancen an bester Lage.
Schweizweit einmaliger Prozess
Mit dem Abschluss des Dialogprozesses findet ein Ende, was vor mehr als zwanzig Jahren mit der Kritik von Quartierbewohnern und Fachverbänden an den Entwürfen der offenen Autobahnanschlüsse mitten in der Stadt begonnen hat. 2015 wurde das Komitee «Westast so nicht» gegründet mit dem Ziel, das offizielle Auflageprojekt mit offenen Autobahnanschlüssen mitten in der Stadt zu verhindern. Der Protest entwickelte sich über die Jahre zu einer beispiellosen Bürgerbewegung, der sich zahlreiche Verbände und Vereine anschlossen, darunter der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) und Schweizer Heimatschutz, die federführend beim Einspracheverfahren sind, sowie Pro Velo und andere.
Unzählige Freiwillige engagierten sich an Infoanlässen für die Bevölkerung, führten Stadtwanderungen durch, um auf das Ausmass der Zerstörung aufmerksam zu machen, organisierten wie «Biel wird laut» Demonstrationen, an denen sich Tausende beteiligten; sie leisteten unentgeltliche Rechtsberatung für Betroffene, schrieben Blogbeiträge, markierten Bäume, lancierten eine Petition an Bundesrätin Doris Leuthard, unterstützten Vorstösse im Bieler Stadtparlament und im Berner Grossen Rat und mobilisierten auf den sozialen Medien. Das Komitee «Westast – so nicht!» entwickelte schliesslich mit «Westast – so besser» eine alternative Variante, deren Kosten um die Hälfte tiefer gewesen wären.
Der Druck zahlte sich aus: Anfang 2019 startete der Kanton den Dialogprozess und das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sistierte das Projekt. Mit Beharrlichkeit, Ausdauer und stets voller Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit haben sich die westastkritischen Organisationen in den letzten Monaten in der gemeinsamen Erarbeitung eines Kompromisses engagiert. Diese Art der Partizipation ist schweizweit einmalig und hat nationalen Vorbildcharakter für andere Verkehrsprojekte in der Schweiz.
Organisationen wollen wachsam bleiben
Die 13 westastkritischen Organisationen, die das Schlussdokument mittragen, erwarten nun, dass sich die Behördendelegation, der Regierungsrat des Kantons Bern und das UVEK hinter den hart erarbeiteten Kompromiss stellen und die vorgeschlagenen Lösungen gemäss den Empfehlungen umsetzen. Zentral ist für sie dabei die zeitliche Staffelung der Massnahmen: So sollen zuerst die kurz- und mittelfristigen Empfehlungen umgesetzt und analysiert werden, ehe eine langfristige Variante in Betracht gezogen wird. Dabei machen die Organisationen klar, dass sie den Druck weiterhin hochhalten werden: «Wir bleiben wachsam und werden die Umsetzung genau verfolgen.»